Hintergrund
Bei der Gesetzesinitiative sollte der Präventionsansatz zur Vermeidung von schwer heilenden und chronischen Wunden stärker Berücksichtigung finden sowie den Bereich der palliativen Wundsituation inkludieren. Die oben eingefügten Erweiterungen bieten die Chance, die Verläufe postoperativer oder posttraumatischer Wundheilungsstörungen zu verkürzen und deren „Chronifizierung“ zu vermeiden. Ebenso sollte der Zugang für Menschen mit palliativen Wunden möglich sein, damit eine adäquate Versorgung ggf. in Kooperation mit einem SAPV-Team erfolgen kann.

Die beschriebene Ausgangssituation deckt sich mit den Versorgungsrealitäten in nahezu allen europäischen und nicht-europäischen Ländern der westlichen Welt.
Die neue G-BA-Richtlinie zur Versorgung von chronischen und schwer heilenden Wunden sollte dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechend und die Nationalen Expertenstandards für die professionelle Pflege sowie die im AWMF-Register publizierten evidenzbasierten Leitlinien berücksichtigen.
Der Gesetzgeber hat in der dargelegten HHVG-Begründung bereits konkret herausgestellt, dass neben den Faktoren „aktueller Stand“ der Versorgung und Spezialisierung auch die Faktoren patientenindividuelle Versorgungsanpassung, fachliche Kompetenz und Hygiene zentrale Eignungsfaktoren darstellen.
Das im Rahmen diverser Stellungnahmen vorgetragene Argument, in der Versorgung von chronischen Wunden seien keine Defizite erkennbar, wird nicht geteilt. Obwohl die Wundversorgung im Rahmen der GKV als ärztliche Leistung für Versicherte abrufbar ist und bereits heute im Rahmen der häuslichen Krankenpflege durch Pflegedienste erbracht wird, sind nach wie vor deutliche Versorgungslücken zu erkennen. Diese wurden unter anderem im Barmer GEK Heil- und Hilfsmittelreport 2014 dokumentiert. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass trotz der belegten Wirksamkeit der medizinischen Kompression in Deutschland in zu geringem Maße eine leitlinienkonforme Kompressionsbehandlung des venösen Ulcus cruris durchgeführt wird und dies eine gravierende Unter- oder auch Fehlversorgung des Ulcus cruris venosum mit Blick auf eine leitliniengerechte Therapie der Versicherten darstellt. Des Weiteren verweist der Barmer GEK Heilmittelreport darauf, dass durch eine leitliniengerechte Behandlung, die unter anderem ein adäquates Wundmanagement beinhaltet, die Prävalenz und Inzidenz des Wiederauftretens von Ulcus cruris und die daraus resultierenden Folgekosten von Ulcus cruris verringert sowie die Heilungs- und Behandlungszeit verkürzt werden können. (Oien & Ragnarson, 2006).
Darüber hinaus sind die Probleme der ambulanten Wundversorgung in Deutschland insbesondere gekennzeichnet durch
- sehr geringe fach- und berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit – obwohl Patienten mit komplexen Wunden oft parallele und abgestimmte Leistungen zahlreicher Gesundheitsdienstleister benötigen
- mangelnde Verzahnung von ambulanten und stationären Leistungen
- geringe bis sehr geringe Implementierung von evidenzbasierten Leitlinien und deren Behandlungspfaden (Algorithmen) in den Versorgungsalltag
- nicht ausreichend und einheitlich geregelte Qualifikationsprofile zur Behandlung von Wundheilungsstörungen, schwer heilenden oder chronischen Wunden bei Ärzten, Pflegefachkräften und anderen Berufsgruppen.
- fehlende Qualitätsmerkmale bzw. Regelungen in Bezug auf strukturelle, leitlinienbasierte und hygienische Rahmenbedingungen für die ambulante Wundversorgung oder spezielle Behandlungs- und Versorgungseinrichtungen
- wenige ambulante Versorgungszentren, in denen eine hohe Zahl an kompetent behandelten Fällen zu großer Erfahrungsexpertise, Effizienz und damit verbesserten Behandlungsergebnissen führt
- noch unzureichende wissenschaftliche und ökonomische Evaluation bestehender Projekte und Einrichtungen
Die in den letzten Jahren erfolgte Entwicklung zentrumsbasierter, spezialisierter ambulanter Wundversorgung wird vom Gesetzgeber wahrgenommen und als neuer Versorgungsbaustein im Gesetzesentwurf verankert. Dadurch erkennt der Gesetzgeber die grundsätzliche Eignung von „spezialisierten Einrichtungen“ für eine erfolgreiche Versorgung an und verpflichtet die Krankenkassen wie auch die Spitzenverbände darauf, in der Umsetzung der zu erstellenden G-BA-Richtlinie eine möglichst flächendeckende Entstehung von ambulanten „spezialisierten Einrichtungen “ zu ermöglichen.
Sofern man die rasche Abheilung bzw. den Wundverschluss und eine geringere Rezidivrate als oberstes Ziel unterstellen darf, verdeutlicht die heute publizierte Datenlage und die daraus abzuleitende Prävalenz, dass eine nachhaltige Auslastung und somit der langfristige Betrieb von singulär betriebenen spezialisierten Einrichtungen eine Herausforderung darstellt. Deshalb sind auch frühzeitig Rahmenbedingungen für Kooperationen einzelner Leistungserbringer, die gemeinsam eine „spezialisierte Einrichtung “ betreiben möchten, zu schaffen. Transparente Kooperationsmodelle wirken Fehlentwicklungen in der Zusammenarbeit und nicht erwünschter Abhängigkeiten entgegen.